Suchtfördernde Eigenschaften digitaler Spiele
Genauso wie soziale Medien und Streaming bringen digitale Spiele viele Eigenschaften mit sich, die dazu anregen, immer mehr und immer länger zu spielen oder sogar Geld auszugeben, um im Spiel weiterzukommen. Diese manipulativen Eigenschaften werden auch als Dark Patterns (z. Dt. dunkle Muster) bezeichnet, weil sie im Hintergrund ablaufen oder dir nicht bewusst sind. Sie verleiten dich dazu, etwas zu tun, das gar nicht in deinem persönlichen Interesse, sondern im Interesse der Anbieter ist. Es kann zwischen Dark Patterns unterschieden werden, bei denen es um die Faktoren Zeit, Geld oder soziale Interaktionen geht.
Welche Dark Patterns und suchtfördernde Eigenschaften es in digitalen Spielen gibt und wie sie dich und deine Entscheidungen im Spiel beeinflussen können - darüber möchten wir auf dieser Seite informieren.
"Time patterns": Wer viel spielt, erreicht viel
Hierbei handelt es sich um Elemente in digitalen Spielen, die dafür sorgen, dass Spieler:innen sich immer wieder einloggen und viel Zeit in den digitalen Welten verbringen.
In vielen Spielen ist es eine lange Spielzeit erforderlich, um Erfolge erzielen zu können. Dabei muss viel Zeit in Routinetätigkeiten investiert werden, damit die eigentlich interessanten und für das Spiel wichtigen Aufgaben erledigt werden können. Bei manchen Spielen werden beliebte Funktionen wie die Teilnahme an Events sogar erst ab einer bestimmten Spielzeit freigeschaltet, damit Spieler:innen motiviert sind, diese schnell zu erreichen.
Die meisten digitalen Spiele locken mit täglichen Belohnungen, die Nutzer:innen für das bloße Öffnen des Spieles erhalten. Diese Belohnungen werden reizvoller, wenn das Spiel ohne Unterbrechung an mehreren Tagen hintereinander geöffnet wird. Viele Spieler:innen schalten ihre Spiele deshalb tatsächlich jeden Tag ein, um die besten Belohnungen zu erhalten.
In vielen Spielen (z.B. Jurassic World , Merge Dragons, Eternium) machen die eigenen Helden sogar bei geschlossener App Fortschritte, indem sie Münzen einsammeln oder in ihrer Erfahrung aufsteigen. Das erweckt bei den Spieler:innen den Eindruck, dass sie im Spiel voranschreiten, ohne selbst etwas dafür tun zu müssen. Jedoch können Helden meistens nur eine festgelegte Menge an z.B. Münzen sammeln und alles darüber hinaus verfällt. Um diesen Verfall zu verhindern müssen Spieler:innen sich regelmäßig ins Spiel einloggen und die Münzen einsammeln. Wenn das Spiel einmal geöffnet ist, ist die Verlockung groß, auch direkt weiterzuspielen.
Für ein hohes Spielengagement erhalten Spieler:innen Belohnungen, die ihnen ermöglichen, ihre virtuellen Identitäten weiter auszubauen und einen höheren Bekanntheitsgrad zu erlangen. Das unterliegende Belohnungssystem orientiert sich am Prinzip der intermittierenden, also unerwarteten, Verstärkung. Die Spieler:innen wissen somit nur, dass, aber nicht wann, sie Belohnungen für ihr Engagement im Spiel erfahren. Um die erwartete Belohnung möglichst schnell zu erhalten, ist eine Steigerung der Nutzungsdauer erforderlich.
Videospiele umfassen meistens umfangreiche virtuelle Welten, die sich stetig verändern und von Nutzer:innen frei erkundet werden können. Häufig gibt es keine festgelegte Reihenfolge an Leveln oder es werden ständig neue Aktivitäten, Aufgaben oder Erlebnisse angeboten. Somit gibt es kein endgültiges Ziel, auf das der/die Spieler:in hinarbeitet und an dem er/sie sagen kann, dass es nichts mehr zu entdecken gibt. Die meisten Spiele werden außerdem rund um die Uhr fortgeführt, auch dann, wenn der/die Spieler:in nicht aktiv ist. Spielstände können teilweise nicht zwischengespeichert werden. Diese Bedingungen erhöhen den Druck, ständig im Spiel aktiv sein zu müssen, um nichts zu verpassen und abzusichern, dass ein erlangter Fortschritt nicht verloren geht.
In den meisten Spielen erhalten die Spieler:innen zahlreiche vom Spiel auferlegte Aufgaben, die sie erledigen sollen. Doch kaum ist eine Aufgabe erledigt, blinkt schon eine neue auf – es scheint kein Ende in Sicht. Unerledigte Aufgaben bleiben uns Menschen stärker im Gedächtnis als erledigte. Dadurch denken Spieler:innen auch dann an ihre bevorstehenden Aufgaben, wenn sie offline sind. Haben Spieler:innen eine Aufgabe bereits angefangen, so fällt es ihnen besonders schwer das Spiel auszuschalten oder gar ihren Account zu löschen, da sie bereits Zeit und Mühe investiert haben und dies nicht umsonst gewesen sein soll.
Viele Spiele enthalten eine Übersicht über alle Sammlungsstücke (z.B. Items, Geheimnisse oder Errungenschaften) die im Spiel gesammelt werden können. Diese Übersicht motiviert Spieler:innen dazu, viel Zeit in der virtuellen Welt zu verbringen, um die Sammlung zu vervollständigen. Doch während die Sammlung sich zu Beginn schnell füllt, dauert dies mit fortschreitendem Spielverlauf immer länger, da es auch seltene Sammlungsstücke gibt die z.B. nur zu bestimmten Uhrzeiten und mit viel Glück gesammelt werden können.
In Spielen werden immer neue Quests (z. Dt. Aufgaben) angeboten, die mit unterschiedlichem Aufwand absolviert werden müssen – häufig auch nachts. Erfolgreich abgeschlossene Quests werden mit Inhalten, die den Ausbau der persönlichen Spielfigur dienlich sind (z.B. neue Kleidung für den Avatar), belohnt.
Um ständig neue Anreize zu schaffen, setzen Hersteller die Wünsche der Spieler:innen außerdem nahezu unmittelbar um. Gleichzeitig gewinnen Spieler:innen den Eindruck, eine wichtige Rolle und Verantwortung in der Weiterentwicklung einer angesehenen Spielwelt zu haben.
Nicht nur Bedürfnisse und Wünsche, sondern auch die persönlichen Fähigkeiten werden im Spiel berücksichtigt. Das Schwierigkeitsniveau wird häufig automatisch an die Fertigkeiten der Spieler:innen angepasst. Dem/der Spieler:in kann so rückgemeldet werden, dass er/sie besonders gut ist und Herausforderungen mit zunehmender Erfahrung zu bewältigen sind.
Neben einem hohen Erfolgserleben ist auch der getätigte Aufwand im Spiel (z.B. aufgebrachte Zeit für die Individualisierung der Spielfigur) ein bedeutender Faktor, der dem/der Spieler:in erschwert, die Arbeit an seinem „Werk“ aufzugeben und sich vom Spiel zu distanzieren.
In digitalen Spielen ist ständig etwas los: schnelle Bewegungen, laute Geräusche, blinkende Aufgaben, eingehende Belohnungen oder sogar vibrierende Endgeräte. Dadurch wird bei den Spieler:innen Dopamin (ein Glückshormon) ausgeschüttet und sie haben das Bedürfnis, immer wieder zurück zu kommen.
In der Gamingwelt verbreitet sich zunehmend die Nutzung von VR-Brillen, mit deren Hilfe Nutzer:innen direkt in die 3D Umgebung des Spiels versetzt werden. Dadurch können sie intensiv in die virtuelle Welt eintauchen und die Realität ausblenden. Für viele Spieler:innen verschwimmt sogar die Grenze zwischen der Realität und der virtuellen Realität, was auch als Immersion bezeichnet wird.
Oft sind süße, animierte Tiere oder leckere Süßigkeiten Teil von digitalen Spielen und sollen das Interesse der Spieler:innen wecken. Scheitert ein:e Spieler:in an einem Level, so erscheint manchmal ein traurig aussehendes Häschen, das den/die Spieler:in darum bittet, es zu trösten, indem er/sie das Level noch einmal probiert oder einen In-Game-Kauf tätigt. Obwohl den Spieler:innen in der Regel klar ist, dass diese animierten Tiere keine echten Gefühle haben, haben sie trotzdem eine emotionale Reaktion und das Bedürfnis, dem Tier zu helfen.
Auch in Kampf- oder Wettbewerbsspielen wird oft mit den Emotionen der Nutzer:innen gespielt, indem ihnen mitgeteilt wird, dass nur sie die virtuelle Welt retten können. Das schmeichelt den Spieler:innen und gibt ihnen das Gefühl, gebraucht zu werden.
"Money Patterns": Ein teurer Spielspaß
Hierbei handelt es sich um Elemente die dafür sorgen, dass Spieler:innen möglichst viel Geld für und in digitalen Spielen ausgeben.
Viele Spiele ermöglichen zwar kostenlosen Zugang zu virtuellen Welten (free2play), erfordern aber InApp-Käufe (wie z.B. Lootboxen), um im Spiel wirklich aufsteigen zu können (pay2win). Mit dem dadurch gewonnen Vorteil erhalten Spieler:innen immer neue Belohnungen (z.B. Diamanten, Skins, Emotes) und Kaufangebote, die ihnen noch mehr Ruhm und Anerkennung verschaffen können. Je häufiger Jugendliche spielen, desto mehr Geld sind sie bereit für solche Zusätze auszugeben.
Eine besondere Form der Belohnung stellt der Einsatz sogenannter Loot-Boxen (z. Dt. Beute-Kisten oder Überraschungskisten) dar. Diese enthalten eine Zufallskombination aus nützlichen und/oder nutzlosen Spielgegenständen und werden Spieler:innen als Auszeichnung für erfolgreiches oder langes Spielen bereitgestellt. Die Überraschungskisten können aber auch direkt käuflich erworben werden. Somit stellen Loot-Boxen eine Kombination aus spielerischem/finanziellem Aufwand und Gewinn nach Zufallsprinzip dar. Nutzer:innen werden hierdurch an Mechanismen herangeführt, die sich auch im klassischen Glückspiel wiederfinden. Deshalb sind Loot-Boxen in Belgien bereits verboten und in den Niederlanden ist ein solches Verbot geplant.
Der Einsatz von Geld ist ein bedeutendes Mittel für die Intensivierung von Spielerlebnissen geworden. Bestimmte Funktionen sind nur im Eintausch gegen Geld zu erlangen (sogenannte In-Game-Käufe). Spieler:innen können erkämpfte Zusätze für selbst festgelegte Beträge weiterverkaufen. Je häufiger man spielt , desto größer wird die Bereitschaft, im Spiel Geld auszugeben und Geldausgaben für ein Spiel führen wiederum zu einer erhöhten Nutzung. Der/die Spieler:in verspürt das Bedürfnis, genügend spielen zu müssen, um auf seine/ihre Kosten zu kommen.
Da reales Geld in virtuelle Währungseinheiten übertragen wird (z.B. V-Bucks, 10 € = 1.000 V-Bucks), kann das Maß zur tatsächlichen Ausgabe schnell verloren gehen. Gibt es innerhalb eines Spieles mehrere unterschiedliche Währungen, so ist es noch schwieriger den Überblick zu behalten. Bei In-Game-Käufen können Nutzer:innen oft nicht genau festlegen, wieviel Geld sie investieren möchten, sondern sie müssen zwischen Paketen auswählen, welche die Anbieter erstellt haben. Diese werden häufig damit beworben, dass sie besonders günstig und wertvoll sind, obwohl sie teilweise auch wertlose Inhalte haben.
Die Entscheidung für oder gegen einen In-Game-Kauf muss oft in einem sehr kurzen Zeitraum getroffen werden. Zeitlicher Druck erhöht die Wahrscheinlichkeit für emotionale Entscheidungen, die nicht gut durchdacht sind. Scheitert man beispielsweise an einem Level, das innerhalb einer festgelegten Zeit abgeschlossen werden muss, kann man sich zusätzliche Zeit kaufen, um es noch einmal zu versuchen. Insbesondere wenn Spieler:innen an einem Level schon mehrfach gescheitert sind, ist die Verlockung groß, sich impulsiv für einen Kauf zu entscheiden. Zeitlicher Druck entsteht auch, wenn Items oder Pakete in den Shops damit beworben werden, dass sie nur noch für einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung stehen. Spieler:innen bekommen dann den Eindruck, den Kauf schnell tätigen zu müssen, da sie ansonsten ein Schnäppchen verpassen.
In digitalen Spielen findet oft Werbung für andere digitale Spiele statt. Das Anschauen von Werbung wird häufig mit Münzen oder Diamanten belohnt, für die man andernfalls echtes Geld ausgeben müsste. Dadurch haben Spieler:innen das Gefühl, Geld zu sparen und trotzdem Vorteile zu erhalten. Diese Werbung regt die Spieler:innen jedoch zu Käufen oder zum Herunterladen anderer (kostenpflichtiger) Apps an. Oft besteht die Möglichkeit, zu bezahlen damit man keine Werbung mehr sieht. Dabei gibt es Angebote, die mit teuren monatlichen Zahlungen einhergehen.
Spielehersteller machen sich außerdem zu Nutze, dass der Mensch ein Gewohnheitstier ist. Wird uns eine Frage gestellt, so verbinden wir die Farbe Grün mit der Antwort „Ja“ und die Farbe Rot mit der Antwort „Nein“. In manchen Videospielen wird dies jedoch getauscht, damit Spieler:innen im Eifer des Gefechtes den falschen Button drücken und sich damit z.B. für einen In-Game-Kauf entscheiden. Manchmal ändern Buttons auch im Laufe des Spiels ihre Funktion, jedoch nicht ihre Platzierung und Farbe - so kann ein Button am Anfang eine kostenlose Belohnung freigeschaltet haben, und ab einer bestimmten Spieldauer lauern dort kostenpflichtige Belohnungen.
"Social patterns": Die Macht der Gemeinschaft
Hierbei handelt es sich um Elemente, die Spieler:innen unter sozialen Druck setzen, damit diese sich stärker an ein Spiel binden.
Eine starke Spielbindung wird durch das Spiel im Teamverbund geschaffen. Die Teamarbeit ermöglicht nicht nur schnellere Spielfortschritte, sondern kann bei dem/der Spieler:in auch starke Gefühle der gegenseitigen Wertschätzung, der Anerkennung und des Gebrauchtwerdens auslösen. Gleichzeitig erfordert die Teamzugehörigkeit nicht nur einen stetigen Einsatz im Spiel, sondern auch eine fortlaufende Arbeit an der Verbesserung der persönlichen Spielfigur. Nur so kann der/die Spieler:in seinen Mehrwert für die Gruppe erhalten und sich für die Teilnahme an weiteren Team Quests qualifizieren. Manche Teams haben sogar die Regel, dass Spieler:innen nach einer bestimmten Zeit der Inaktivität (z.B. nach zwei Wochen) aus der Gruppe verstoßen werden. Dadurch kann es vielen Jugendlichen noch schwerer fallen, eine längere Zeit auf das Spielen zu verzichten.
In vielen Spielen, die auf einem Wettbewerb basieren, gibt es Rankings, welche die eigene Leistung mit der anderer Spieler:innen vergleichen. Das motiviert Spieler:innen dazu, mehr zu spielen um besser zu werden und im Rang aufzusteigen. Dabei werden Spieler:innen jedoch nicht mit allen Spieler:innen der Welt verglichen, sondern nur mit einem Bruchteil der Personen, die das Spiel auch spielen. Den Spieler:innen wird dabei oft nicht mitgeteilt, mit wievielen anderen Spieler:innen sie verglichen werden. So bekommen sie den Eindruck, besser zu sein, als sie eigentlich sind (z.B. gehört ein:e Spieler:in zu den Top 25% von tausend Spieler:innen und nicht zu den Top 25% von allen hunderttausenden Spieler:innen weltweit). Wenn Spieler:innen das Gefühl haben, gut zu sein in dem was sie tun, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit, dass sie im Spiel aktiv bleiben.
Oft kann man die Spielzeit andere Nutzer:innen einsehen oder verfolgen, welche Fortschritte sie machen. Es entsteht ein Konkurrenzdruck, da Nutzer:innen mit den Fortschritten ihrer Freund:innen oder Konkurent:innen mithalten möchten.
In vielen Spielen gibt es Anreize dafür, zu bestimmten Uhrzeiten zu spielen. Die Spieler:innen entscheiden dann nicht mehr selbst, wann sie spielen möchten, sondern halten sich quasi an Termine, die ihnen das Spiel auferlegt hat.
Ein Beispiel dafür sind öffentliche Turniere, bei denen jede:r mitspielen darf, der zu einer bestimmten Zeit online ist. Die Turnierdaten werden von den Spielentwickler:innen meistens auf sehr ungewöhnliche Zeiten gelegt, um dafür zu sorgen, dass auch außerhalb der Hauptspielzeiten genug Spieler:innen online sind. Wer gewinnt, erhält eine Trophäe oder ein hohes Preisgeld. Vielen Spieler:innen geht es aber auch einfach darum, dabei zu sein und das Event live mitzuerleben. Manche haben für ein Turnier sogar schon ganze Nächte durchgemacht oder die Schule geschwänzt.
Ein anderes Beispiel sind minutengenaue Timer, die den Spieler:innen anzeigen, wann sie sich wieder einloggen müssen, um das meiste aus dem Spiel herauszuholen (z.B. um die nächste Handlung durchzuführen, die nächste Belohnung zu erhalten oder eine Fähigkeit zu verbessern).
Eigene Spielerfolge können über die Grenzen der App hinaus mit dem sozialen Umfeld geteilt werden, indem der Spielaccount mit dem eigenen Social-Media Profil (z.B. Twitch) verbunden wird. Dadurch werden Nutzer:innen auch dann an das Spiel erinnert, wenn sie es gar nicht geöffnet haben. Sie erhalten hier ständig Informationen über den Fortschritt ihrer Freund:innen, was zu einem sozialen Vergleich und Konkurrenzdruck führen kann.
Manche Spiele posten sogar Beiträge im Namen der Spieler:innen, mit deren Social-Media Profilen sie verbunden sind. Für Außenstehende sieht es dann so aus, als hätte die Person selbst einen Post verfasst, um für ein Spiel zu werben.